In der buddhistischen Lehre gilt das Selbst als Illusion – ein flüchtiges Konstrukt aus Gedanken, Erinnerungen, Vorstellungen. Es gibt kein festes „Ich“, das unabhängig und unverändert existiert. Was aber bedeutet das für jemanden, der fotografiert? Was bleibt übrig, wenn nicht ich ein Bild mache – sondern einfach ein Bild geschieht?

Das Ich sucht Kontrolle – das Sehen nicht

Viele Fotografen kennen das: der Wunsch, ein besonderes Foto zu machen. Ein Motiv zu besitzen, eine Stimmung einzufangen, die man anderen zeigen kann. Doch je stärker das Ego mit der Kamera verschmilzt, desto mehr verkrampft der Blick. Plötzlich wird das Bild zu einem Ausdruck des eigenen Wertes – und verliert genau das, was es ursprünglich hatte: Präsenz.

Die Lehre vom Nicht-Selbst lädt ein, diesen Griff zu lockern. Wenn das Ich in den Hintergrund tritt, kann das Sehen in den Vordergrund treten. Die Kamera wird nicht länger Werkzeug des Egos, sondern ein offenes Auge.

Sehen als Geschehen – nicht als Leistung

Ein Berggipfel im ersten Licht. Der Schatten eines Baumes auf frisch gefallenem Schnee. Diese Momente entstehen nicht für mich. Sie sind einfach. Ohne Absicht. Ohne Geschichte. Wenn ich frei bin vom inneren Kommentar – „Ist das gut genug?“, „Kommt das an?“ – beginnt das Fotografieren, sich wie Atmen anzufühlen. Natürlich. Mühelos. Leer und doch ganz da.

In solchen Augenblicken geschieht Fotografie nicht durch das Ich, sondern durch das Offensein.

Die Spuren des Selbst verschwinden

Ein Bild, das aus diesem Zustand entsteht, trägt oft eine andere Qualität. Es hat keine Absicht, zu beeindrucken. Kein Bedürfnis, zu gefallen. Es ist einfach ein Ausdruck dessen, was war – ohne Filter des Egos. Manche nennen das authentisch, andere zeitlos. Für mich ist es: leer. Und genau deshalb lebendig.

Die Kamera als Zen-Meister

In gewisser Weise ist die Kamera wie ein Zen-Meister: Sie zeigt Dir, wenn du festhältst. Sie belohnt Dich, wenn Du loslässt. Du kannst sie nicht überlisten – sie sieht nur das, was du sie sehen lässt. Je weniger du im Weg bist, desto klarer wird das Bild.